Die hohe Kunst des Apéros

Ein Liebesbrief an den Moment vor allen Momenten.
vonKonstantin Arnold

Den Himmel stelle ich mir als eine Art Abend vor, auf der Terrasse eines alten Cafés oder einer Hotelbar. Mittelmeerblaue Stunde mit Planetenlaternen, wie sie nur ein Land zwischen Norden und Süden hervorbringen kann und ein paar Tische mit weissen Decken. Ein bisschen Dunst. Ab und an kommt ein Kellner vorbei und bringt einen Drink und der Moment beginnt wieder von vorn. Davor ein grosser Platz, über den meine Freundin irgendwann auf mich und den Drink zugeht. Glockenschlag! Die Stunde der Aperitifs ist gekommen, möge das Vorspiel beginnen, die Erlebnisverlängerung, der Moment vor allen anderen Momenten. Ein Passieren, das vor dem eigentlichen Passieren beginnt, einem Abendessen zum Beispiel. Es sind schwerelose Stunden, zur Feier des Lebens. Die schönsten unter ihnen entstehen, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hat und frisch geduscht und eingecremt und im Anzug, auf seine Freundin wartet, weil die sich noch länger frisch machen muss.

Es ist ein wunderbares Gefühl mit einem Drink auf einen Menschen zu warten, den man liebt. Man sieht die Schiffe kommen, schreibt das auf, erfährt vom Barmann alles über die besten Restaurants und den frischesten Fisch und den neusten Tratsch. Man geniesst die Zeit, freut sich, wenn sie kommt, anstatt zu schreien, warum sie so spät ist. Ich habe so schon an vielen Bars auf sie gewartet. Am Meer und in den Bergen, auf Plätzen und an Küsten, vor Seen und in Städten. Bologna, Riviera, Lago di Como, ganz besonders in Madrid und San Sebastián.

Mit San Sebastián verbinde ich einen besonderen Geschmack, der mich an ein besonderes Gefühl erinnert. Gewisse Drinks sollte man nur an gewissen Orten trinken und dann nur ganz selten dazwischen, um sich an die Orte und das Gefühl zu erinnern. Einen Winter verbrachten wir da, wo die spanische Königin einst ihre Sommer verbrachte. Wir wohnten in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer und tranken Martinis in der Hotelbar. Es war eine schöne Bar mit rotem Samt und Messing, die Kellner trugen Manschettenknöpfe und verteilten Häppchen. Die Bar war lang und hatte Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen konnte oder einfach nichts sagte und stumm stützte und dasass und durch den Raum hinaus aufs Meer blickte. Es waren einfache Martini Bianco’s. Solange man keine Ahnung von Wermut hat, hält man Martini für Wermut. Je nachdem, wie lange diese Ahnungslosigkeit anhält, konditioniert sich der Geschmack. Martini Bianco hat sich bei mir lange gehalten. Mit crushed Ice und gepresstem Zitronensaft. Und er hält sich noch immer.

Selbst als mir, viel später, Stefan, der im Bristol Wien hinter der Bar steht, einen vernünftigen Wermut hinstellte, konnte er sich halten. Von ihm weiss ich alles, was ich über Wermut weiss und Turin. Wichtig ist mir nur, dass er in einem Old-Fashioned-Glas serviert wird, nicht im Martini-Glas und nein, auch nicht im Milchglas, wie im Harry's.

Vieux Carré ist auch ein guter Drink, ein Cocktail, der mir mal von einem Barmann im Chicote, in Madrid, hingestellt wurde, nachdem ich sagte, dass ich keine Cocktails mag. Er fragte mich, was ich denn mag und ich sagte, ehrliches Zeug, nichts Gemischtes. Cognac, Wermut, Whiskey, aber nur Rye, manchmal einen Bénédictine. Er lachte und meinte, ich könne das alles in einem haben. Vieux Carré ist oft aber ein bisschen hart für den Start. So wie Pastis, aber mit Wasser schmeckt man das harte nicht, man fühlt es nur. Am besten schmeckt er vorm Le Cáfe, Saint-Tropez.

Ich hielt das Dorf auch immer für ein Scheissloch. Ist es aber nicht. Wir sind an einen Nachmittag durchgefahren und wären fast ganz durchgefahren, hätten wir die Alten nicht gesehen, die vorm Le Cáfe Boule spielen. Wir hielten an und spielten und bestellten eine Runde mit von dieser zarten Spirituose aus Anis. Nach dem ersten kann man aber nicht gleich fahren und wartet und trinkt noch einen und bleibt am Ende die ganze Nacht. Weine eignen sich besser, wenn man danach noch irgendwohin fahren will oder generell noch irgendwo hin will. Ätna-Rosé zum Beispiel, auf der Terrasse des Grand Hotel Timeo. Die wichtigste Zutat für ein gutes Glas Vulkanrosé ist der Ausblick und eine Terrasse, von dem man den sehen kann. Am späten Nachmittag verfangen sich Wolken in den Tälern des Vulkans und man kann die Ferne sehen, wie sie die Berge nach hinten raus immer durchsichtiger werden lässt. Primeiras Gotas ist auch ein wunderbarer Aperitivo-Wein. Einer aus Portugal, in der Nähe von Torres Vedras, Region Lisboa, aber man kann ihn trinken, egal wo man ihn findet. Vor allem den Curtimenta, einen Weissen, der für zwei Wochen auf den Schalen vergoren wurde.

90% Moscatel Graúdo und 10% Arinto. Mineralisch, kalt. Wir kennen einen Laden in Lissabon, in dem man den trinken kann und einmal sahen wir ihn in Bologna und liessen das Abendessen aus. In Bologna gehen die Beilagen zu den Drinks weit über Oliven, Nüsse und Kartoffelchips hinaus. Ich habe sogar einen Drink mit meinem Namen, ist natürlich quatsch und auch nicht patentiert, aber Mirco, der Mixer im Palazzo Margherita, ganz im Süden Italiens, hat ihn so genannt. Der Drink entstand an einem glühend heissen Sommertag, nach einer langen Cabrio-Fahrt. Vielleicht gibts den Drink auch schon, aber nicht mit Cabrio-Fahrt und Mirco und diesem wunderbaren Hotel, das Francis Ford Coppola verwaltet.

Man sitzt in Korbstühle vor der Bar, raucht kurze Zigaretten in einem hellen Anzug und trinkt mit den Dorfbewohnern. Mirco meinte, ich trinke immer dieselben Drinks, und ob ich nicht mal was Neues probieren wollte. Er mixte Antica Formula und St. Germain im Verhältnis 2:3, legte einen großen Eiswürfel rein, servierte Tonic dazu, aber kein Schweppes und vollendete das Ganze mit einer Basilikumblüte. Wie man sieht hat‘s ein guter alter Negroni nicht in den Text geschafft. Ich trinke ihn auch nur, weil ihn alle trinken und jeder kennt, aber ich kann‘s nicht, weder Gin, noch Campari. Aperol trinkt sich leichter, auf den Terrassen Capris. Wenn man das Orange im Glas vor das Blau des Himmels hält. Wo fängt dann der Himmel an, wo hört das Meer, das Leben auf?

PS. Ach so, und was immer und überall geht: ein schönes, kaltes, kleines Bier, aufmachen, trinken, ah.

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