Horsing Around –
Pferdestärken auf Eis

Das White Turf ist bekannt für seine atemberaubenden Pferderennen, aber unter den vielen Traditionen sticht das Skikjöring hervor. Dieses einzigartige Spektakel hat seinen festen Platz im Herzen von St. Moritz – bei Einheimischen, Gästen und Rennteilnehmern. Lerne zwei lokale Wettkämpfer kennen: Valeria Schiergen und Fabrizio Padrun.
vonAlistair MacQueen

Alistair MacQueen ist ein Lifestyle-Autor und Redakteur mit Sitz in London. Er hat bereits die Pisten von Crans-Montana, den Dolomiten, Jackson Hole und Lake Louise erobert – allerdings ist er erst zweimal auf einem Pferd gesessen...

Im Winter verwandelt sich der St. Moritzersee in eine spannungsgeladene Arena. Der zugefrorene See wird zur schneeweissen Terra Firma für rund 30’000 Menschen, die sich hier versammeln, um die faszinierenden Rennpferde und ihre furchtlosen Fahrer beim Skikjöring zu bewundern.

Dieses faszinierende Spektakel, dessen Wurzeln bis ins frühe 20. Jahrhundert nach Skandinavien zurückreichen, ist seit 1907 fester Bestandteil des White Turf. Acht bis zwölf erfahrene Athleten lenken ihre temperamentvollen Pferde geschickt über die 2’700 Meter lange, anspruchsvolle Skikjöring-Strecke. In drei spannenden Durchgängen kämpfen sie um die höchste Punktzahl und schliesslich um den begehrten Titel des Königs oder der Königin des Engadins.

Aufsatteln

Was bringt Menschen dazu, an einem Sport teilzunehmen, bei dem sie nach einem stehenden Start auf einem zugefrorenen See plötzlich von Fahrern und ihren prächtigen Pferden umgeben sind, die mit bis zu 55 km/h an ihnen vorbei donnern?

Zwei, die es wissen, sind Fabrizio Padrun und Valeria Schiergen, beide Teilnehmer der diesjährigen Skikjöring-Rennen. Fabrizio nahm erst im vergangenen Jahr zum ersten Mal teil, während Valeria seit ihrem Debüt in dieser spektakulären Disziplin im Jahr 2009 bereits dreimal zur Königin des Engadins gekrönt wurde. Ihr Einstieg ins Skikjöring ist sowohl auf die tiefe Verbundenheit ihrer Familie mit dem White Turf zurückzuführen - ihr Vater hat selbst an Skikjöring-Rennen teilgenommen - als auch auf ihre eigene Leidenschaft für Pferde, die sie seit ihrer Kindheit hegt.

«Ein gute Freundin meiner Eltern hatte Rennpferde, und wäherend des White Turf waren sie oft in St. Moritz», erzählt sie. «Ich durfte in den Stall, half beim Putzen und durfte die Pferde auch anfassen. Irgendwann fragte mich ein Trainer, ob ich reiten könne, und setzte mich auf ein Rennpferd. Ich war vorher noch nie auf einem geritten, aber ich war sofort begeistert. So richtig angefangen Rennpferde zu reiten habe ich im Sommer 2005 in Deutschland, in dem Rennstall, wo meine Freunde Pferde hatten. Nachdem diese Bindung entstanden war, musste ich warten, bis ich 18 Jahre alt war und die Prüfungen ablegen konnte, um meine Skikjöring-Lizenz zu erhalten.»

Fabrizios Weg zum Skikjöring könnte kaum unterschiedlicher sein. Ehrlich gesagt, war es nichts, worauf er sich je vorbereitet oder auch nur vorgestellt hatte. «Ich war 2022 mit meiner Freundin am St. Moritzersee», erzählt er. «Sie hatte ihre Engadinertracht an, das sie bei der Siegerehrung der Pferderennen trägt. Plötzlich kam Alfredo Lupo Wolf (ein ehemaliger White Turf-Teilnehmer) auf uns zu und fragte, ob wir jemanden kennen, der gut Ski fahren kann? Er sei auf der Suche nach jungen Leuten für das Skikjöring, denn es brauche Nachwuchs, der sich an den Sport herantraue.» Fabrizios Freundin zögerte keinen Augenblick. Sie zeigte direkt auf ihn und sagte: «Also, er kann gut Ski fahren...»

Nach dem Motto «Warum nicht?» nahm Fabrizio die Herausforderung an. Bevor er jedoch zum ersten Mal im Rennanzug an den Start gehen durfte, musste er drei Skikjöring-Prüfungen bestehen: eine Prüfung mit Pferd, bei der er einen vorgegebenen Parcours auf Skiern bewältigen musste, eine theoretische Prüfung über die Regeln und Vorschriften des Sports und eine praktische Prüfung.

Hatte er je davon geträumt, hier zu starten? «Als ich jung war, sind wir jedes Jahr an den See gefahren, um Skikjöring zu schauen und die Teams anzufeuern. Aber wenn man mich vor zehn Jahren gefragt hätte, hätte ich gesagt, das ist zu verrückt, ich hätte zu viel Angst, das zu machen.»

Die Ruhe vor dem Sturm

Skikjöring ist genauso gefährlich wie jedes andere Pferderennen. Doch die Sicherheitsvorkehrungen, das hohe Können und die Professionalität der Teilnehmer sowie der ständige technische Fortschritt im Sport tragen wesentlich dazu bei, das Verletzungsrisiko deutlich zu minimieren, wie Fabrizio erklärt: «Normalerweise sind 8 bis 12 Personen auf der Strecke, und ein Unfall kann sehr schnell passieren. Deshalb wurde die Ausrüstung angepasst. Das Führungsseil, das die Pferde mit dem Fahrer verbindet, ist mit kleinen Sprengkapseln versehen. Wird das Führungsseil losgelassen, wird dies registriert, die Sprengkörper werden ausgelöst und die Seile fallen zu Boden. Sonst könnten andere Pferde in die Seile geraten, stürzen und eine gefährliche Situation für alle Beteiligten auf der Strecke verursachen.»

Glücklicherweise können auch kleine Innovationen wie diese einen grossen Unterschied für den Sport machen und dafür sorgen, dass jeder Fahrer und jedes Pferd die Strecke erfolgreich und unbeschadet verlässt und das Ende eines erfolgreichen Rennens feiern kann.

Ein wesentlicher Bestandteil des Tagesablaufs eines Skikjöring-Teilnehmers ist die Vorbereitung vor dem Rennen. Die mentale Einstimmung und das Umschalten in den «Rennmodus» sind entscheidend, um die Herausforderungen der Strecke zu meistern. Dabei hat jeder Fahrer seine eigene Herangehensweise, um sich auf das Rennen vorzubereiten. Fabrizio macht in der Regel einen Rundgang entlang der Startboxen, um sicherzustellen, dass alles korrekt installiert und in Ordnung ist. Dann läuft er die gesamte Strecke ab. Dabei achtet er besonders auf Bodenunebenheiten und weiche Stellen, an denen die Pferde ausrutschen oder sich verletzen könnten.

Auch Valeria läuft die Strecke vor dem Rennen ab, aber sie hat ihre eigene Methode, um sich zu konzentrieren. «Normalerweise gehe ich zur Strecke, spreche mit den Leuten, die die Bahn präparieren, und dann laufe ich die Strecke ab, während ich Eminem über Kopfhörer höre. Es gibt keinen bestimmten Song, nur einen Mix, aber während ich laufe und Musik höre, spiele ich das Rennen in meinem Kopf durch. Ich denke über die Taktik nach: wie ich das Rennen angehe, ob ich vorne oder hinten starten werde, wer in der Startaufstellung in meiner Nähe steht, wie sie starten, wo sie zu bestimmten Zeitpunkten im Rennen sein werden und wo ich mich selbst befinde.»

Die Spitzenreiter

Nicht nur die Vorbereitung, sondern auch die Berufe und Hobbys der Athletinnen und Athleten geben ihnen einen entscheidenden Vorteil, wenn es darum geht, das Beste aus sich herauszuholen. «Meine Tätigkeit als Junior Marketing Managerin bei der Sportfirma Head in der Schweiz erfordert ein gutes Auge - sowohl für Talent als auch für Technik - um Potenziale zu erkennen und vorauszusehen, wie sich diese in Zukunft entwickeln könnten. Dieses Gespür übertrage ich auf den Skikjöring-Sport: Sobald ich weiss, welche Pferde an den Start gehen, recherchiere ich im Internet über sie. Ich schaue mir an, welche Rennen sie bestritten haben, wann sie normalerweise in Führung gehen, ob sie eher spät nach vorne kommen... Das hilft mir, einen Überblick über das gesamte Rennen zu bekommen. Mein Mann hält mich für verrückt, aber so lerne ich die Pferde genauso gut kennen wie meine Gegner.»

Für Fabrizio ist es seine Leidenschaft fürs Segeln, die seinen Stil im Skikjöring prägt. Sei es auf schnellen Foil-Jollen oder auf 25 Meter langen Offshore-Rennyachten. Er fühlt sich auf dem Wasser zu Hause, sei es beim Steuern oder beim präzisen Einstellen von Segeln und Taktik auf einer nautischen Rennstrecke. «Für mich ist Skikjöring dem Segeln sehr ähnlich, weil man viel mit Seilen arbeiten und gleichzeitig taktisch denken muss», erklärt er. «Bei einer Regatta auf dem Wasser musst du viele strategische Entscheidungen treffen: Wo positionierst du dich auf der Strecke? Wann beschleunigst du und wann verlangsamst du das Boot? Genauso ist es beim Skikjöring mit dem Pferd.»

Für Valeria ist Skikjöring nicht nur ein Sport, sondern auch eine Bühne, um etwas zu bewegen und mit traditionellen Rollenbildern zu brechen. Bis 2009, als sie zum ersten Mal antrat, gab es keine Frauen in diesem Sport. Mit ihrem ersten Sieg im Jahr 2017 stellte sie diese Stereotypen in Frage. «Ich sage immer: Kämpft nicht gegen Vorurteile, sondern zeigt es mit euren Ergebnissen und eurer sportlichen Leistung.»

Ihre Erfolge im Skikjöring sprechen für sich. Und während sie sich auf die diesjährige Veranstaltung vorbereitet, stellt sich die Frage: Wann wird der Zeitpunkt kommen, an dem sie ihr Markenzeichen, die pinkfarbene Startnummer, ablegt und sich aus dem Sport zurückzieht? «Über diese Frage habe ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht», gesteht sie. «Vielleicht, wenn mein Körper mir signalisiert, dass es Zeit ist aufzuhören - wenn ich zu alt werde oder wenn ich Angst vor dem Skifahren oder den Pferden bekomme. Denn das wäre gefährlich für die anderen Teilnehmer und die Pferde. Aber im Moment geniesse ich es und bin gerne dabei.»