Über den Wert von Grand Hotels

Es ist sehr einfach und sehr falsch ein Grand Hotel als etwas Dekadentes zu bezeichnen, weil man nicht weiss, was Grand Hotels sind und was Dekadenz bedeutet.
vonKonstantin Arnold

Es gibt auf der Welt viele luxuriöse Häuser, die sich alle unterscheiden, genauso wie es viele Möglichkeiten gibt, dieses Wort für sich auszulegen. Nur eines muss jeder Interpretationsgrundlage gemein sein, bei allen Vorurteilen und Varianten, dass Dekadenz dem Untergang geweiht ist. Sie ist das Ende von etwas. Schon immer. Weltuntergangsstimmung. Ein Mittel gegen die Leere unseres Daseins, durch das wir, im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, mit Rausch und Genuss, hinauskommen müssen. Das Fin de Siècle, das Ende des Römischen Reiches und anderer Reiche und irgendwann auch wir, in dieser aufgegeilten Welt kurz vor dem Höhepunkt. Wir bauen schon keine Gebäude mehr, die tausend Jahre alt werden, das haben Demokratien so an sich und Demokraten feiern auch keine Orgien, auf denen Champagner in reissenden Bächen fliesst, wie auf Thomas Coutures Les Romains de la décadence, nicht ungestraft. Unsere Dekadenz besteht aus Dingen, die man kaufen kann und Dekoration, die auf was macht, das sie nicht ist. Bücherregaltapeten, Werbeattrappen, Schaufensterpuppen, Eier aus Bodenhaltung, Warteschleifen, Telefonieren generell, oder das, was heute noch von Telefonieren übriggeblieben ist: Menschen, die Fotos machen, hoch- und runterladen, online kaufen, kaum noch Antiquitätenläden, nur noch mehr Läden, in denen man Handys kaufen kann, kurze Hose und Döner. Wir sind eine Einweggeneration, die Demonstrieren geht, wenn der Tag lang ist, aber lieber fünf Paar Billigschuhe kauft, anstatt eins, das gut ist und lange hält. Weil das eben teuer ist und alles, was teuer ist, für Reiche ist, und dass Reichen ebenso sind, ist leicht gesagt und nicht ganz fertig gedacht, nicht alle sind Waffenhändler.

Etwas verfällt hier gerade gewaltig und deswegen sind Grand Hotels wunderbare Orte, die aus der Zeit fallen und somit auch ohne Ende sind. Die Welt könnte untergehen und man würde das dort erst eine Woche später mitbekommen, durch die unaufgeregte Information eines Concierge. Concierges sind wundervolle Leute, die sich in der Welt rumgetrieben haben und viele Länder kennen und ihre Sprache sprechen und sich nicht mit einfachen Wahrheiten abgeben. Sie sind diskret, unaufdringlich und reden in einfachen und schönen Formen. Sie haben junge, vom Leben verschonte Gesichter und geben dir einen Augenblick lang, das Gefühl der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein. Selbst, wenn man nur nach Badesalz fragt, Briefmarken oder Helikoptern. Wie kaum ein anderer stehen sie für jenes Gleichgewicht, dass die Architektur eines Grand Hotels in einem erzeugt.

Das ist gut für Menschen, in denen es von Natur aus laut ist. Grand Hotels sind Rückzugsorte für Kopfarbeiter, ein Kosmos bei der Arbeit, das Uhrwerk der Zeitlosigkeit, betrieben von den Grössen ihrer Zeit. Sie sind Freigang für alle, die sich zwischen den Zeiten gefangen fühlen und man braucht gar nicht erst nach der Zeit fragen, weil alles so alt ist, dass es fast ewig ist. Die Stühle sind abgesessen, die Teppiche betreten, die Gemälde gesehen, das Holz benutzt. Das Schöne daran ist aber nicht das Benutzte, sondern die Zeit, die was damit tut. Alles, was wahr ist, wird besser mit der Zeit. Liebe, Wein, Leder, Probleme. Es ist natürlich leichter, auf Alt zu machen, als das Alte zu erhalten, aber erhält man es, entsteht etwas Unfassbares, ein Fluidum, Liebe zum Detail, der Geist dieser Häuser, zu Raum gewordene Zeit. Meiner Freundin gefielen solche Orte schon immer und ich erklärte ihr das mit den Details und dann wusste sie auch, was ihr daran so gefiel. Es war das gleiche, was uns auch an einem billigen Lokal gefiel oder einer düsteren Schenke im abgelegensten Viertel der Stadt: Wahrheit.

Ich verstehe, dass einige nicht verstehen, aber ich verstehe auch, dass Menschen immer etwas für sich wollen und nur selten wollen sie das auch für andere. Kaum einer will heute noch von guten Zeiten lesen, geschweige denn von noch Besseren, wenn er sie nicht selber lebt. Das hat aber nichts mit den Häusern zu tun. Sie leuchten unschuldig weiss, wie Botschaften der Zivilisation an den Küsten dieser Welt. Sie stehen in Städten wie Museen, die man benutzen und anfassen und dreckig machen darf oder dampfen wie grosse Schiffe in den Bergen, die durch die Zeit fahren und aus einem anderen Jahrhundert kommen, um ins nächste überzugehen, damit es die Welt von gestern auch morgen noch geben darf. Sie bewahren längst vergessene Höflichkeiten, halten Berufe ausgestorbener Professionen mit Liebe am Leben, haben etwas Verlorengegangenes an Bord, wie eine Arche. Es liegt ihnen die gleiche Wahrheit zu Grunde, die auch einer Eckkneipe zu Grunde liegen, die seit Jahrzehnten von einem ehrlichen Ehepaar durch die Zeit manövriert wird. Sie bieten Heimatlosen für einige Stunden ein Zuhause. Die schönsten von ihnen sehen aus wie Vanilleeis mit Dach drauf. Die ist Bar aus dunklem Holz, die Kellner tragen Manschettenknöpfe und verteilen Häppchen. Die Bar hat Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen kann oder einfach nichts sagt und stumm stützt und dasitzt und durch den Raum hinaus aufs Meer, den Platz oder die Berge guckt. Man sitzt da, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hat, wartet, denkt über das Meer nach oder schreibt einen Brief mit Bergen drin, auf edlem Papier, mit einem Kugelschreiber, der sich besonders schön schreiben lässt. Manchmal erfährt man vom Barmann alles, was man dann über diesen oder jenen Ort weiss, die besten Restaurants, den neusten Tratsch. Nein, man hat keine Zeit, man nimmt sie sich, bis die Geliebte im Abendkleid die Treppen der Lobby herunterkommt. Wunderschön.

Zwischen klassischen Häusern wie solchen und neureichen Scheisshäusern, in die Leute gehen, um reich zu sein, liegt ein himmelweiter Unterschied in Form einer Wahrheit, die jeder selbst entdecken muss, in dem er herausfindet, welche Wahrheit überhaupt gemeint ist. Sie ist auf jeden Fall nicht mit Geld gleichzusetzen, ausser für Leute, die den Wert von etwas nicht kennen, oder nur kennen, wenn sie wissen, was etwas wiegt, welches Mass es misst oder wie viel es kostet.

Was diese Gebäude bedeuten, wird erst auch Ernstfall klar. Sie überstehen Weltkriege und Besuche von Dieter Bohlen. Sind Laboratorien der Moderne, Bollwerke gegen das Jahrhundert in dem sie gerade stehen. Im Kriegsfall bilden sie Festungen, die am längsten halten. Das Suvretta House in St. Moritz zwischen den Kriegen, das Excelsior in Rom während der Abadan-Krise, der Speisesaal des Hotel Palace in Madrid als Lazarett, im Spanischen Bürgerkrieg. Das Grand Hotel du Cap-Ferrat als Tresor eines Lebensgefühls, der Bristol Palace in Wien. An der Wiege der Völker ist das Gastrecht heilig. Sie konzentrieren aktuelle Ewigkeitswerte aus einem urzeitlichen Recht auf Herberge und luxuriöser Entfaltung, bilden das Gehäuse einer tiefen Sehnsucht und wirken wie institutionelle Beruhigung, die einem Kinderglauben gleichkommt: kein Feind in der Nähe, der Tod umgänglich, Licht an, die Gewissheit, das noch jemand wach ist. Das ist die Botschaft der Grandhotels, Schlafwagen, Kaffeehäuser, Stammtische, eine zeitliche Grenzenlosigkeit, Immerbereitschaft, Morgenröte, Wiederkehr, immer ein neuer Tag.

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ST. MORITZ ohne Grand Hotels – undenkbar

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