Breaking Views –
Basquiat kehrt nach
St. Moritz zurück

Vom 14. Dezember bis 29. März 2025 zeigt die Galerie Hauser & Wirth «Jean-Michel Basquiat-Engadin».
Wir erkunden die Verbindungen des Künstlers zur Region und sprechen mit dem Basquiat-Experten, Dr. Dieter Buchhart.
vonAlistair MacQueen

Alistair MacQueen ist ein Autor und Redakteur mit Sitz in London, der sich auf Kultur, Reisen und Lifestyle spezialisiert hat. Die letzten drei Jahre war er Features-Redakteur des St. Moritz Magazins.

Bruno Bischofberger and Jean-Michel Basquiat, Galerie Bruno Bischofberger, Zurich, 1982 © Galerie Bruno Bischofberger, Männedorf-Zurich, Switzerland. © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York. Photo: Beth Phillips

Diesen Winter präsentiert die Galerie Hauser & Wirth eine aussergewöhnliche Ausstellung. Sie würdigt das Leben von Jean-Michel Basquiat und die Werke, die er während seiner Zeit in St. Moritz und im Engadin geschaffen hat. Es ist kein Geheimnis, dass die Landschaft des Engadins im Laufe der Jahrhunderte unzählige Künstler, Kreative und Philosophen inspiriert hat. Doch die eingangs zitierte Aussage aus dem Ausstellungskatalog bringt auf den Punkt, wie tief dieser Ort Basquiats Kunst und Schaffen beeinflusst hat.

Zum ersten Mal überhaupt wurden diese Werke aus verschiedenen Privatsammlungen in einer Ausstellung zusammengeführt, initiiert von Iwan Wirth, Bruno Bischofberger sowie den Basquiat-Experten Dieter Buchhart und Anna Karina Hofbauer. Gemeinsam haben sie auch den Ausstellungskatalog erarbeitet, der Basquiats Zeit in der Schweiz dokumentiert. Der Katalog zeigt bisher unveröffentlichte Fotos von Basquiat mit der Familie Bischofberger sowie Impressionen von seinem Leben und Schaffen in St. Moritz.

Obwohl diese Aufenthalte manchmal nur eine Woche dauerten, hinterliessen sie einen bleibenden Eindruck und verliehen Basquiats Werk ein visuelles Schweizer Lexikon. Die Ausstellung zeigt deutlich Basquiats Reaktion auf das Schweizer Umfeld, aber ich fragte Buchhart, wie denn die Reaktionen der Menschen waren, die Basquiat damals begegnet sind?

«Die Leute waren fasziniert von ihm, er hatte eine unglaubliche Energie, eine Aura, die die Leute anzog und sofort Interesse an seiner Person weckte. Natürlich hatte Bruno auch Künstler wie Francesco Clemente und Julian Schnabel [als Kunden], aber Basquiat hatte ein ganz besonderes Charisma, das ihn einzigartig machte und ihm eine zusätzliche Tiefe verlieh.»

Basquiats Verbindung zur Region entstand während seiner Europareise 1982, als er seine erste Ausstellung in der Galerie Bruno Bischofberger in Zürich organisierte. Bischofberger, der damals die enge Verbindung von St. Moritz mit der Kunst begründete, wurde Basquiats Kunsthändler. Wie sowohl die ausgestellten Werke als auch der Ausstellungskatalog belegen, entwickelte sich die Beziehung der beiden über das rein Geschäftliche und Professionelle hinaus zu einer echten Freundschaft, geprägt von gegenseitigem Respekt für die Kreativität und das Wissen des anderen.

Jean-Michel Basquiat, "Skifahrer (Skier)", 1983 Courtesy Collection Carmignac © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Zwischen 1982 und 1986 besuchte Basquiat St. Moritz insgesamt siebenmal – viermal im Sommer und dreimal im Winter. Oft übernachtete er im Haus von Bruno Bischofberger in Appenzell oder im Ferienhaus des Sammlers, der Chesa Lodisa in St. Moritz. Dort fand Basquiat die Zeit, den Raum und die familiäre Geborgenheit, um die Ereignisse des Tages künstlerisch zu verarbeiten, neu zu interpretieren und zu erforschen.

Die Ruhe und der Rhythmuswechsel, weit entfernt von der rastlosen und unerbittlichen Energie New Yorks, gaben dem Künstler mehr Zeit zum Nachdenken, für neue Erfahrungen und bedeutsame Interaktionen, die sich, wie Buchhart erklärt, in seinen Werken widerspiegelten.

«Ich glaube, dass er im Engadin Schönheit, Familie und Freunde gefunden hat. Man sieht in seinen Werken, dass er sich immer wieder auf das Engadin bezieht, er war tief berührt von der überwältigenden Naturlandschaft. Von den Skigebieten bis zu den Stierausstellungen, die er besuchte, um danach in wenigen Stunden vier bedeutende Zeichnungen anzufertigen... und es waren wahre Meisterwerke, die die Sprache, die Bratwurst, den Film und die Musik miteinander verbanden, aber immer wieder zum Engadin zurückkehrten.»

Jean-Michel Basquiat, "The Dutch Settlers“, 1982, 
Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York, Nicola Erni Collection. Photo: Reto Pedrini Photography

The Dutch Settlers ist nur ein Beispiel dafür: Neun Tafeln mit Einzelbildern, die als ein Gesamtwerk präsentiert werden und grosse Themen wie die Sklaverei behandeln, denen die Darstellung eines Steinbocks neben einem ruhigen See gegenübergestellt wird. Diese visuelle Komplexität findet ihr Gegengewicht in intimeren Stücken wie Skifahrer – einer frechen Darstellung eines fröhlichen Skifahrers auf einer tiefroten Leinwand – sowie dem seltener gezeigten Werk Sea (Lake), das ursprünglich für das Esszimmer der Bischofbergers vorgesehen war. Und es geht weiter: The Bischofbergers, Bruno in Appenzell, Bull Show One und Bull Show Two (auf die sich Buchhart bezieht) zeigen, wie Basquiat Aspekte der Schweizer Gesellschaft, des kulturellen Erbes und Anspielungen auf das Engadin in seinen Werken integrierte, was ihre tiefe Anziehungskraft auf den Betrachter noch verstärkt.

Auch der Ausstellungskatalog beleuchtet diesen Zusammenhang eindrucksvoll mit persönlichen Fotografien der Bischofbergers von Basquiat in der Chesa Lodisa.

«Die im Katalog gezeigten Polaroids sind bisher unveröffentlicht, und die Landschaftsbilder, die wir zeigen, wurden seit 1985 nicht mehr ausgestellt. Sie sind nicht einmal in der umfassenden Publikation von Enrico Navarra über Basquiats Werk enthalten. So bietet der Katalog neue Einblicke und Perspektiven auf Basquiat - von der Zeichnung einer Jagdhütte, die er für ein Abendessen bei Bischofberger anfertigte, über seine präzisen, pointierten Gemälde bis hin zu seinen hochkomplexen, anspruchsvollen Zeichnungen. All das zeigt eindrucksvoll sein Genie.»

Jean-Michel Basquiat, "See (Lake)", 1983 Courtesy Private Collection © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Es gibt viele Gründe für eine Ausstellung - von der Schaffung einer Plattform für neue oder aufstrebende Künstler über die Präsentation einer neuen Sammlung bis hin zur Würdigung des Lebenswerks oder einer bestimmten Schaffensphase eines Künstlers. Buchhart erklärt, warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diese weniger bekannte Schaffensperiode Basquiats ins Rampenlicht zu rücken.

«Dass einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts tatsächlich Zeit in St. Moritz und im Engadin verbracht und diese Erfahrung so genossen hat, dass sie Teile seiner Kunst nachhaltig geprägt hat, ist bemerkenswert. Es ist fantastisch, dass ein so bedeutender Künstler und seine Werke ins Engadin zurückkehren. Das letzte Mal war er 1986 hier, also vor fast 40 Jahren - es ist eine Art Heimkehr. In diesen Gemälden gibt es all diese Verbindungen: von der Bratwurst bis zu den Wappen der Kantone. Für den New Yorker Künstler aus Brooklyn, der seine Ideen in Manhattan entwickelt und dann die Welt bereist hat, ist es beeindruckend, wie er zentrale Eindrücke dieser Region aufgenommen und in sein eigenes künstlerisches Vokabular integriert hat. Das finde ich wirklich faszinierend».

Jean-Michel Basquiat, "Bull Show Two", 1983 © © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York Bischofberger Collection, Männedorf-Zurich

Kaum jemand wird bestreiten, dass eine Basquiat-Ausstellung an sich schon einen Besuch wert ist. Doch das Bemühen, die Werke eines Künstlers aus einer bestimmten Schaffensperiode zusammenzutragen und sie genau dort zu präsentieren, wo sie entstanden sind, zeugt von grosser Hingabe. Viele der ausgestellten Werke stammen aus der Privatsammlung von Bruno Bischofberger, aus der Galerie Bruno Bischofberger sowie aus weiteren, namentlich genannten Sammlungen und von anonymen Leihgebern. Was hofft Buchhart, dass die Besucherinnen und Besucher von der Ausstellung mitnehmen?

«Ich denke, die Besucher werden überrascht sein, wie sehr dieser bedeutende New Yorker Künstler das Engadin liebte und welche enge Freundschaft er mit Bruno Bischofberger pflegte. Mindestens zweimal war er nach Weihnachten in dessen Haus zu Gast, und es wird deutlich, wie sehr ihn seine Kunst mit dem Engadin verbunden hat. Diese Phase markierte einen zentralen Punkt in seinem Schaffen, und die Ausstellung zeigt, dass es die kreativste Zeit eines radikalen Künstlers war, der die Kunstgeschichte nachhaltig geprägt hat».